Wahlprüfsteine! – Schriftliches Interview mit dem Behindertenbeirat Lampertheim
1. Inklusion: Es gibt den Satz: Menschen sind nicht behindert. Menschen werden behindert. Wir sagen: Menschen dürfen nicht von ihrer Umgebung behindert werden. Der Kreis Bergstraße unterstützt das Recht auf Inklusion gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention.
Welche Pläne haben Sie für den Kreis?
a.)Welche Maßnahmen oder Ideen werden Sie besonders fördern?
Die "Institutionalisierung" von Menschen mit Behinderung herrscht noch immer vor. Es wäre wichtig, hier das Führen eines unabhängigen und selbständigen Lebens stärker in den Blick zu nehmen und barrierefreien und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Auch müssen wir mehr tun für ein integratives Schulsystem.
b.)Was müsste ihrer Ansicht nach vom Kreis Bergstraße getan werden, um der Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen wirksam entgegenzutreten?
Wir brauchen eine starke Interessenvertretung im Kreis; die Kreisteilhabekonferenz ist wie gesagt ein erster, wichtiger und richtiger Schritt gewesen. Jetzt gilt es aber, den nächsten Schritt zu machen, nämlich einen hauptamtlichen Beauftragten unterstützt von einem entsprechenden Beirat, der die Interessen vertritt und Ansprechpartner ist, damit inklusive Themen von und mit den Betroffenen eingebracht und sodann berücksichtigt werden.
2. Arbeit: Für Menschen mit Behinderungen ist es schwierig, einen Arbeitsplatz auf den 1. Arbeitsmarkt zu finden. Welche Ideen und Vorstellungen bringen Sie mit, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen?
Insgesamt muss in der Arbeitsvermittlung mehr darauf geachtet werden, "passende" Arbeitsplätze zu besetzen, man spricht von "leidensgerecht". Es gibt viele Menschen mit Behinderung, die einen Arbeitsplatz haben. Integrationsämter und Integrationsfachdienste unterstützen erfolgreich den Arbeitsplatzerhalt und auch die Arbeitssuche. Es gibt finanzielle Anreize wie HEPAS. Natürlich kann und muss man noch besser werden. In meiner täglichen Arbeit stelle ich fest, dass im SGB 2 Bereich viele Menschen sind, bei denen die Schwerbehinderung noch gar nicht festgestellt wurde und sie so nicht angemessen gefördert werden. Da gibt es noch eine Menge zu tun, einfach weil "Behinderung" negativ besetzt ist.
Auch ist es nach wie vor für viele Arbeitgeber zu einfach, sich von der Schaffung von barrierefreien und inklusiven Arbeitsplätzen freizukaufen. Dabei gibt es vonseiten des Staates sogar Förderungen: beispielsweise für den Umbau und die technische Ausstattung, sowie Zuschüsse für das Gehalt von behinderten Arbeitnehmern. Da muss Politik durchaus stärker eingreifen. Auch muss die Arbeit in Behindertenwerkstätten dann im Verbund stärker daran ausgerichtet sein, Menschen in den Arbeitsmarkt bzw. in Beschäftigungsverhältnisse zu bringen.
3. Wohnen: Bezahlbarer Wohnraum ist gerade in unserem Landkreis mittlerweile zum Luxusgut geworden. Dies gilt erst recht für barrierefreien Wohnraum, den Menschen mit Behinderungen, aber auch ältere Menschen, dringend benötigen. Wir fordern, dass inklusives Wohnen künftig im Kreis in noch erheblicherem Umfang gefördert wird.
a.)Wie werden Sie inklusives Wohnen unterstützen, insbesondere in Bezug auf die Schaffung und Förderung bezahlbaren barrierefreien Wohnraums im Kreis?
Der Kreis hat hier selbst wenig Kompetenzen hinsichtlich der Schaffung von Wohnraum, so dass ich als Landrätin das Thema bezahlbarer Wohnraum für alle gesellschaftlichen Gruppen in den Fokus nehmen würde; d.h. gemeinsam mit den Kommunen über einen "Wohngipfel" zur Vereinbarung von kreisweiten Zielen und einer Umsetzungsstrategie zu kommen.
b.) Gibt es Überlegungen, „besondere Wohnformen“ für Menschen mit Behinderungen weiter auszubauen bzw. auszudifferenzieren?
Das Ziel muss sein, dass Menschen mit Behinderung möglichst unabhängig und selbständig leben können. Dazu gehört neben Teilhabe am Arbeitsleben natürlich auch selbständiges Wohnen; hier wäre es das Ziel (siehe a.), dass im Rahmen des "Wohngipfels" zusammen mit Wohnungsbaugesellschaften, Kommunen und Betroffenenverbänden dieses Thema nutzerorientiert entwickelt wird.
4. ÖPNV: Mobilität ist ein unverzichtbares Menschenrecht von Menschen mit Behinderungen. Erst mit hinreichender Mobilität können sie angemessen am öffentlichen Leben teilhaben.
a.)Welche Ziele setzen Sie sich als Landratskandidat, um den ÖPNV im Kreis Bergstraße bis 2027 zu 100 Prozent barrierefrei zu gestalten?
Der ÖPNV ist nicht nur für Menschen mit Behinderung von Bedeutung. Der ÖPNV ist zentral für den Klimaschutz. Die Barrierefreiheit für alle Betroffenen muss konsequent von der letzten Haltestelle bis hin zum Fahrzeugeinsatz umgesetzt werden; dies gilt aber auch für die Erreichbarkeit von ÖPNV-Infrastruktur.
5. Freizeit: Im Kreis Bergstraße gibt es viele Freizeitangebote: Theater, Konzerte, Museen, Ausstellungen. Oftmals mangelt es an hinreichender barrierefreier Zugänglichkeit. Es fehlen funktionierende Aufzüge beispielsweise für Rollstuhlfahrer oder technische Voraussetzungen für die Teilhabe von blinden, sehbehinderten und gehörlosen Menschen. Wir fordern auch hier zusätzliche Mittel für die Schaffung einer inklusiven Infrastruktur.
a.)Haben Sie schon einmal eine barrierefreie Veranstaltung besucht?
Ja, habe ich.
b.)Woran haben sie gemerkt, dass die Veranstaltung barrierefrei ist?
Eigentlich gar nicht, vielleicht auch, weil ich es als "normal" empfinde:
c.)Wie können Veranstalter:innen unterstützt werden, eine Veranstaltung barrierefrei zu gestalten?
Zunächst durch die Förderung von Umbaumaßnahmen bei eigenen Locations resp. Förderung von Umbauten von Veranstaltungsflächen beim Gebäudeeigentümer und weiterhin steuerliche Fördermöglichkeiten bei Ticketverkauf u.ä..
6. Familien: Familien, in denen Menschen mit Behinderungen leben, fehlt es oft an finanzieller, personeller und technischer Unterstützung. Hierzu gehört beispielsweise auch die Sicherstellung von Schulassistenzen. Was werden Sie tun, damit Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aus diesen Familien ausreichend mit finanziellen Mitteln, einer differenziertem Angebot und einer funktionierenden Infrastruktur ausgestattet werden?
Die Unterstützung von Familien und insbesondere das Auffangen der besonderen Kosten wird in Hessen in der Regel vom überörtlichen Sozialhilfeträger gewährleistet. Was vor Ort noch getan werden kann, wird getan.
7. Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und bei den Behörden im Landkreis In diesem Punkt gibt es trotz mancher Fortschritte noch viel zu tun. Für blinde und sehbehinderte Menschen gibt es immer noch sehr große Probleme aufgrund fehlender und unvollständiger Leitlinien. In vielen Ämtern und anderen öffentlichen Gebäuden wie auch im Kulturbereich fehlen nach wie vor Induktionsschleifen für gehörlose Menschen. Hier herrscht auch oft noch ein großer Mangel an barrierefreier Zugänglichkeit. Zusammenarbeit Im Kreis Bergstraße gibt es zwar einen Kreisbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, der allerdings mit wenigen, limitierten Befugnissen ausgestattet ist. Es gibt jedoch noch keinen Kreisbehindertenbeirat, der sich aus betroffenen Bürger*innen zusammensetzt, die ihre Kompetenzen durch Beratung der Kreisverwaltung auf Basis ehrenamtlicher Initiative einbringen. Wie wollen Sie diese Themen angehen?
Als Grüne trete ich für gesellschaftliche Teilhabe ein. Das heißt auch, dass u.a. Dienstleistungen der Behörden immer weiter hinsichtlich Barrierefreiheit evaluiert werden und durch Digitalisierung Teilhabe ermöglicht wird. Veranstaltungen der öffentlichen Hand will ich zu 100% barrierefrei gestalten. Wichtig ist mir hier, dass die Schritte und Prioritäten mit den Betroffenen abgestimmt werden. Für Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen wollen wir einen Behindertenbeirat sowie eine/n hauptamtlichen Beauftragte/n beim Kreis installieren, um die Barrierefreiheit in allen Aspekten des täglichen Zusammenlebens weiter voranzutreiben (s. 1b).
Neben dem Gesagten wäre es mir als Landrätin ein besonderes Anliegen, dass Thema Demenz mehr in den Mittelpunkt zu rücken und hier insbesondere die Situation von Menschen mit Demenz im Klinikalltag. Die Zahl der Menschen mit Demenz steigt stetig und es gibt dringenden Handlungsbedarf.
Am 10. Februar findet zu diesem Thema via Zoom eine Podiumsdiskussion mit allen Landratskandidat:innen statt. Mehr Infos findet ihr kurz vor der Veranstaltung hier
Die Bergstraße braucht eine grüne Landrätin
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Die grüne Landratskandidatin Evelyn Berg aus Zwingenberg spricht im Interview über ihre Motivation und ihre politische Agenda
Warum bewirbst Du Dich als Landrätin für den Kreis Bergstraße?
Seit über 20 Jahren stehe ich für grüne Inhalte und engagiere mich ehrenamtlich in den kommunalen Gremien des Kreises Bergstraße. Mit meiner Kandidatur als Landrätin möchte ich mich auf dieser Ebene für unsere grünen Themen einbringen. Als Landrätin wäre ich Repräsentantin des Kreises und Leiterin der Kreisverwaltung. Als Vorsitzende des Kreisausschusses wäre ich an der Vorbereitung der Beschlüsse des Kreisausschusses und an deren Ausführung beteiligt.
Was ist Dein politisches Herzensthema?
Mein Herzensthema ist die Erhaltung und Bewahrung einer lebenswerten Umwelt. Deutschland hat sich dazu verpfichtet, die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten. Dieser Konsens war und ist historisch. Die GRÜNEN unterstützen jeden Schritt, der das Pariser Klimaschutzabkommen umsetzt, und stehen mit Rat und Tat bereit. Wir brauchen einen beschleunigten Kohleausstieg, wesentlich mehr erneuerbare Energien, eine Verkehrswende, einen klimafreundlichen und planungssicheren Umbau der Industrie sowie eine klimaneutrale Wärmeversorgung. Auch auf Kreis- und Kommunalebene können und müssen wir dazu beitragen.
Wollen wir uns in Richtung der Pariser Klimaziele bewegen, dürfen wir den motorisierten Individualverkehr in seiner aktuellen Form nicht weiter aufrechterhalten. Viele Gutachten zeigen unmissverständlich die Richtung, die einzuschlagen ist: Wir benötigen einen besseren ÖPNV, mehr Radwege und geeignete Verknüpfungen verschiedener Verkehrsträger. Das für den Kreis Bergstraße endlich vorliegende Radwegekonzept muss zeitnah umgesetzt werden. Dafür bedarf es eines Masterplans, der alle Maßnahmen defniert und die beteiligten Akteur*innen einbezieht. Ziel ist die systematische Verbesserung der Radverkehrsverbindungsqualität im Landkreis Bergstraße und die Erhöhung des in den einzelnen Kommunen noch sehr unterschiedlichen Radverkehrsanteils.
Welche Bedeutung hat der Klimaschutz?
Auch der Landkreis Bergstraße erlebt seit einigen Jahren massive Klimaveränderungen. Das Wetter wird zunehmend borkenkäferfreundlicher, die Verluste in der Waldwirtschaft sind gravierend. Extremsommer häufen sich und werden zur Normalität.Unseren Bäumen setzt die Dürre mehr und mehr zu. Man braucht nur auf die Hänge des Melibokus zu schauen.
Die gravierende Klimaveränderung zwingt schon heute weltweit mehr Menschen zur Flucht als sämtliche Kriege zusammen. Lippenbekenntnisse zum Pariser Klimavertrag reichen dabei nicht aus. Damit Deutschland seine Verpfichtung aus Paris – bis Mitte des Jahrhunderts unsere Emissionen um mindestens 95 Prozent zu reduzieren – erfüllen kann, muss die Politik sofort und umfassend handeln. Bis zum Jahr 2030 müssen wir die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 senken. Die Ideen, Instrumente und Technologien dafür sind vorhanden. Die Unterstützung in der Bevölkerung wächst und wächst. Die Kinder, von denen wir unsere Erde nur geborgt haben, gehen zu Hunderttausenden für den Klimaschutz auf die Straße. Etliche Unternehmen haben sich auf den Weg gemacht, weil sie wissen, dass eine Green Economy neue Wertschöpfungsketten und neue Arbeitsplätze schaffen wird.
Die GRÜNE Kreistagsfraktion hat in der letzten Legislaturperiode, nicht zuletzt auf Anregung der Grünen Jugend, das Thema Klimanotstand mit einem Antrag in den Kreistag gebracht. Diesem wurde in veränderter Form mit großer Mehrheit entsprochen. Bei den eigenen Fraktionsanträgen sollen in Zukunft auch immer die Auswirkungen auf das Klima mitbedacht werden. Symbolisch, aber doch von Wirkung ist die Umbenennung des Ausschusses für Regionalpolitik und Infrastruktur in Ausschuss für Regionalpolitik, Infrastruktur und Nachhaltigkeit. Damit setzt der Kreis ein Zeichen, dass der Klimaschutz vorrangiges Ziel ist.
Die Herausforderungen des Klimaschutzes müssen mit der Entwicklung der Infrastruktur verknüpft werden: CO2 vermeidende Mobilität und naturschonende Land- und Forstwirtschaft als Lebensgrundlage von Biodiversität sind dabei zentral.
Wie bist Du in die Politik gekommen?
Ursprünglich kam ich in die Politik, weil für mich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zentral war. Ich bin stolz darauf, bei den ersten Kleinkindbetreuungen im Kreis Bergstraße mitgewirkt zu haben. Es ist mittlerweile selbstverständlich, dass Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze haben. Natur und Klima zu schützen sowie eine tolerante, gerechte und vielfältige Gesellschaft mitzugestalten, sind meine Motive, politisch tätig zu sein. Ich fnde, dass jetzt, da viele Menschen für den Umwelt-, Klimaschutz und die Verkehrswende auf die Straße gehen, die Strukturen dringend so verändert werden müssen, dass der Ressourcen- und Flächenverbrauch sowie der CO2 -Ausstoß massiv eingedämmt werden. Dafür will ich mich als Landrätin einsetzen. Der Fahrradverkehr muss genauso gestärkt werden wie der ÖPNV. Die Arten-, Gewässerund Waldschutzprojekte müssen ausgebaut werden. Digitalisierung zur Einsparung von Ressourcen muss genutzt und Müllvermeidung muss verbessert werden.